Auf nichts Unumstößliches stoßen Leserinnen und Leser in diesem Blog. Alles ist Überlegung, nichts Überlegenheit. Standpunkte sind springende Punkte und Punktlandungen selten.
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Mittwoch, 10. Juli 2013

Tag 1 Fahrradurlaub (nicht von, sondern mit ihm)

Aufbruch. Ein letztes Mal schaue ich mich um, ob von dem, was mit soll, nichts mehr herumliegt. Dem ist so und ich stelle fest: Ich habe Lust wiederzukommen. Es ist ganz sicher keine Wohnung, in der es auch nur annähernd aussieht wie in deutschen Wohnungen üblich, sondern meine.

Alexanderplatz. Bis Frankfurt/ Oder will ich mit dem Zug fahren. Ich schiebe mein Fahrrad in die Schalterhalle. Wenn ich das Ticket am Schalter kaufe, muss ich zwar Servicepauschale entrichten, aber nicht mit einem Automaten kämpfen, der mich nicht versteht. Geht schneller, dachte ich. Irrtum. Kaum bin ich in der Schalterhalle, raunzt die freundliche Mitarbeiterin mich an: „Das Fahrrad müssen Sie draußen anschließen, das darf hier nicht 'rein.“ Okay. Ich will mir die Laune nicht verderben lassen, denke im Stillen, der Urlaub fängt nur deshalb so mies an, damit er eine Chance hat, von Tag zu Tag besser zu werden, und schiebe mein Fahrrad vor den Bahnhof. Dort schließe ich es neben Hunden, die ebenfalls nicht hinein dürfen, an und schnalle sämtliches Gepäck für zwei Wochen Radtour – hinsichtlich Gewicht wohl bedacht beidseitig zu je gleichen Teilen am Fahrrad befestigt – ab und schleppe es in die Schalterhalle, da ich es nicht draußen unbeaufsichtigt lassen will, kaufe zwei Tickets nach Frankfurt/ Oder, eins für mein Fahrrad und eins für mich, bugsiere das Gepäck wieder zum Fahrrad und gurte es an ihm fest. Automat wäre schneller gegangen und hätte keine Servicepauschale gekostet. Hinterher ist man schlauer.

Der Zug ist annähernd leer. Zumindest leer genug, dass sich der Zugbegleiter nicht die Mühe macht, meine umständlich erworbenen Tickets wenigstens zu kontrollieren. Wer (außer mir) fährt auch wochentags am späten Vormittag von Berlin nach Frankfurt/ Oder? Miriam, das hast du gut geplant! Wann immer du jenseits deiner Wohnung dasselbe tust wie andere Menschen, tue es nicht zur selben Zeit! Handle, so das möglich ist, antizyklisch! Es erspart Gedränge.

Ankunft in Frankfurt/ Oder. Ich will auf den Oder-Neiße-Radweg. Da die Oder östlich der Stadt fließt und ich Richtung Tschechien will, halte ich mich also südöstlich und komme dem Fluss auf diese Weise tatsächlich näher und näher, erreiche ihn aber zunächst nicht. Ein Blick auf die Karte sagt mir: Das muss so. Der Oder-Neiße-Radweg verläuft erst ab Brieskow tatsächlich an der Oder. Zuvor machen mir die Lossower Berge zu schaffen, aber ich schaffe sie. Mit knapp 100 Metern sind es eher Hügel als Berge, aber mein Fahrrad hat ein hohes Eigengewicht, keine Gangschaltung und ist nun auch noch mit Gepäck behängt. Wenn andere Fahrer auf ihren Ultraleicht-Bikes mit Turbo-Gangschaltungen an mir vorbeiziehen, denke ich: Grinst nur, ich arbeite schwerer als ihr.

Als ich endlich an der Oder bin, mache ich eine erste kurze Pause, lasse meinen Blick über das Wasser nach Polen hinüber schweifen und überzeuge mich: Die Erde ist schön. Nicht unbedingt alles von dem, was Menschen auf ihr und mit ihr anrichten, aber die Erde an sich... Und an meinem Fahrrad vermisse ich keine Gangschaltung, sondern einen Ständer, mit dem man es auch voll beladen hinstellen kann, ohne dass es umkippt.

Der Radweg ist super! Ich fahre und fahre und fahre, bis mich kurz hinter Aurith eine Schafherde stoppt. Mein erster Glücksmoment dieser Tour. Die Tiere nehmen die gesamte Breite des Weges ein und denken nicht im Traum daran, auch nur eine Fahrradbreite Platz zu machen, geschweige denn mehr. Da links und rechts des Weges matschige, morastige Wiesen sind, umfahre ich die Tiere nicht, auch fahre ich sie nicht um, sondern warte geduldig, bis der Schäfer seine Hunde schickt, sie zu holen.

Schaf müsste man sein! Anderen im Weg stehen dürfen und sich über nichts Gedanken machen müssen. Na ja, im Weg stehen dürfen, um jährlich seiner Wolle beraubt und nach kurzem Leben lange vor dem natürlichen Tod geschlachtet zu werden. Nein, ich möchte doch nicht Schaf sein.

Kurz vor Eisenhüttenstadt erreiche ich eine Industrie-Ruine, moosbewachsen und überwuchert. Gefällt mir. Sie ist zwar eingezäunt, aber der Zaun hat Löcher. Ich erwäge, in ihr zu übernachten. Die Mücken indes verbieten mir das. Ihrer sind es Milliarden (gefühlt) und sie drohen, mich zu fressen für den Fall, dass ich bleibe, daher fliehe ich. Dennoch wird es eine Nacht unter freiem Sternenhimmel, nachdem ich Eisenhüttenstadt, die so genannte Planstadt, eines der schlimmsten architektonischen Verbrechen, hinter mir gelassen habe. Der Zeltplatz von Neuzelle, den ich mit Einbruch der Dunkelheit erreiche, ist geschlossen. <irony on> Sommer: best geeignet, einen Zeltplatz zu schließen. </irony off> Nur Hotels und Pensionen haben geöffnet. Ich fahre also aus dem Ort, wickle mich am Waldrand in meinen Schlafsack und schlafe.

Ich meide Orte, an denen ich bedient werde. Bedient man mich, führt das meist dazu, dass ich (sprichwörtlich) bedient bin. Ich muss mich um mich selbst kümmern dürfen. Autarkie. Ansonsten stehe ich vor den zwei Übeln, entweder – entsprechend der gewählten Preiskategorie – zu nehmen, was üblich ist, oder mich zu erklären und für meine abweichenden Vorstellungen wahlweise milde belächeln – von denen, die sich für tolerant halten – oder auslachen – von den Intoleranten, die zu ihrer Intoleranz stehen – zu lassen. (Überdies ist in Hotels und Gaststätten die Abhängigkeit vom Servicepersonal zu bezahlen, auch bei Unzufriedenheit.)

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