Auf nichts Unumstößliches stoßen Leserinnen und Leser in diesem Blog. Alles ist Überlegung, nichts Überlegenheit. Standpunkte sind springende Punkte und Punktlandungen selten.
________________________________________________

Samstag, 13. Juli 2013

Tag 4 Fahrradurlaub (nicht von, sondern mit ihm)

--> Tag 3

Als ich vom Duschen komme, ist der Reißverschluss am Zelteingang 1/3 heruntergezogen, das war er nicht, als ich gegangen bin, und am Rucksack ist die Außentasche geöffnet, das wurde sie nicht durch mich. Mist! Zwar ist alles noch da, mein Geld steckt woanders, aber warum bin ich so naiv?

Vom Schreck erholen, den Beschluss fassen, fortan weniger leichtsinnig zu sein, Kekse und Wasser frühstücken, Sachen packen und auf in Richtung Bad Muskau!

Die Landschaft wird, je weiter ich nach Süden komme, zunehmend schöner und abwechslungsreicher. An der Neiße gefällt es mir besser als an der Oder.

In Bahren pausiere ich an einem Kiosk, an dessen Tür ein Schild informiert: „Bin im Haus. Bitte klingeln!“ Ich parke das Fahrrad kippsicher an einem Baum und beginne, den Klingelknopf zu suchen, aber eine Frau ruft, noch bevor ich ihn gefunden habe, von der gegenüberliegenden Seite des Weges aus dem oberen Stockwerk ihres Hauses: „Komme gleich!“ Irgendwie wirkt das unwirklich auf mich und noch unwirklicher wird es, als sie ausrechnet, wie viel ich für Eis, Kaffee und Mineralwasser insgesamt bezahlen muss, indem sie auf einem Schmierzettel schriftliche Addition ausführt. Dass es so etwas noch gibt!

An der Neiße begegne ich mehr anderen Radfahrern als an der Oder und sie überholen mich nicht von hinten, was sie wahrscheinlich täten, wenn sie in dieselbe Richtung führen wie ich, denn ich fahre genießerisch langsam, sondern kommen mir entgegen. Offenbar ist es üblicher von der Quelle kommend in Richtung Mündung zu fahren als gegen den Strom. Auch eine (gleich mir) allein radelnde Frau ist unter den mir entgegen Kommenden und eine sechsköpfige Familie, vier Kinder, das älteste maximal 10 Jahre alt, sogar die Kinderfahrräder sind voll bepackt und alle strahlen über die ganzen Gesichter: Es ist eine Freude!

Aus Radlergruppen heraus dringen Satzfetzen wie „...verboten nach amerikanischem...“ oder „...und der war Geschichtslehrer früher in der DDR...“ an mein Ohr. Froh bin ich, dass ich allein unterwegs bin.

Der Weg führt durch den Märchenwald – heißt tatsächlich so – über Pusack mit einem Ziegenhof und der Wolfsschlucht. Es sieht wirklich so aus, wie ich mir die Heimat der 7 Geißlein vorstelle, nur haben die Brüder Grimm vergessen, die Milliarden (gefühlt) von Mücken zu erwähnen.

Den nächsten Übernachtungsplatz, Glockenhof & Radler-Rast in Bad Muskau, erreiche ich schon am frühen Nachmittag. Am Eingang hängt ein Fahrradschlauch-Automat, der mich erheitert: Man stehe nicht auf ihm, sondern ziehe ihn sich, den Schlauch. Der Glöckner, wie er sich selbst nennt, fragt mich, indem er mit der Hand auf mein Fahrrad deutet, ob ich etwa mit diesem Fahrrad unterwegs sei. Da er ansonsten recht nett zu sein scheint, verzeihe ich ihm die Frage und antworte: „Ja, na klar.“ Ich stelle nur mein Zelt auf, schmeiße mein Gepäck hinein und fahre ohne Reise-, also lediglich mit so genanntem Handgepäck, das ich allerdings nicht in der Hand, sondern in der Hosentasche trage, entspannt in den Fürst-Pückler-Park, wo ich bleibe, bis es dunkel wird. (Da hat ein steinreicher Popel einen Park entworfen und anlegen lassen, weshalb ich den Park nicht schön finden will, was mir jedoch nicht gelingt.) Ich wechsele über die vielen Neiße-Brücken fortwährend die Seite, bin mal in Polen und mal in Deutschland, und frage mich, wie das hier wohl war, als man nicht nach Lust und Laune zwischen Polen und Deutschland hin und her spazieren durfte. Wenn auf jeder Brücke über den Fluss Grenzer und Zöllner standen, dürfte das den Park seiner Atmosphäre beraubt haben. Für wahrscheinlicher halte ich, dass die Brücken schlicht und ergreifend gesperrt waren. Auch nicht besser! Heute jedenfalls hört man auf beiden Seiten deutsch und polnisch.

Als ich zum Schlafen auf dem Glockenhof ankomme, hat neben meinem eine Frau ihr Zelt aufgeschlagen, die allein mit einem einfachen City-Rad unterwegs ist. Zwar hat es drei Gänge, aber eine einfache Nabenschaltung, die sei ihr verziehen. (Vielleicht hat sie das Fahrrad geschenkt bekommen und nicht selbst ausgesucht.) Mein Herz schlägt höher: Es gibt doch noch mehr Menschen wie mich! Nicht viele, aber es gibt sie.

Allmählich ist die Schicht Insektenschutzmittel auf meiner Haut so dick, dass die meisten Mücken mich verschonen – genau wie in der Produktwerbung gepriesen. Dennoch sind sie da. Sie sitzen an der Zeltwand und werfen mir böse Blicke zu, anstatt sich zu freuen, dass ich sie mir fernhalte. Kämen sie mir zu nahe, erschlüge ich sie, sobald sie sich auf mir niederließen. So bekommen sie lediglich nichts zu fressen, jedenfalls nichts von meinem Blut. Na ja, Verhungern ist auch kein schöner Tod!

--> Tag 5

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen