Auf nichts Unumstößliches stoßen Leserinnen und Leser in diesem Blog. Alles ist Überlegung, nichts Überlegenheit. Standpunkte sind springende Punkte und Punktlandungen selten.
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Sonntag, 21. Juli 2013

Tage 10 + 11 + 12 Fahrradurlaub (nicht von, sondern mit ihm)

--> Tag 9

Auch auf dem Lebensgut sind die Vorteile von seitlich am Gepäckträger zu befestigenden Gepäcktaschen längst erkannt worden. Auf dem Fahrradparkplatz steht ein Fahrrad, an dem hinten zwei ausrangierte Schulmappen festgeschnallt sind, eine rechts und eine links.

Es ist heiß. Nein, falsch. Es ist nicht heiß, sondern sehr außerordentlich brütend heiß.

Den ganzen Tag nur herumgelungert, gegessen, getrunken, gelesen, Wäsche gewaschen – ich hatte keine einzige nicht stinkende Socke mehr und auch die übrigen Kleidungsstücke, insbesondere die Hose, mit der ich mich versehentlich auf ein Nacktschneckenpärchen gesetzt hatte, sahen irgendwie reinigungsbedürftig aus – und am Abend dann (vermutlich im Anblick der sauberen Wäsche auf der Leine) auch noch das Zelt (äußerlich) gewaschen: Vogelkacke und Schleimschneckenspuren ab. Gut. Sieht jetzt wieder schön aus, das Zelt. Wer schläft schon gern unter durch die Zeltwand schimmernden Ausscheidungen diverser Tiere? Ich nicht.

Kaum liege ich dann nach erfolgreicher Vertreibung aller Insekten aus dem Zelt hinter dem zugezogenen Insektengitter in ihm, höre ich Schritte um mich herum, viele Schritte vieler Tiere. Hm. Man könnte nachgucken, um welche Tiere es sich handelt, aber dazu müsste man den Kopf aus dem Zelt stecken und dann wären die Mücken wieder in ihm. Also bleibt es bei Spekulation: Igel? Mäuse? Marder? Katzen? Der Fuchs? Zu guter Letzt beginnt es unter mir in der Isolierschicht aus Heu zu knuspern. Verdammt! Wer nagt sich jetzt von unten durch den Zeltboden zu mir durch? Ich glaube, ich will das nicht wissen.

Es wird mit jedem Tag heißer. Im Schatten der Bäume lässt es sich noch knapp aushalten.

Das Bio-Grasbüschel, an dem ich seit meiner hiesigen Ankunft nach den Mahlzeiten mein Messer abwische, erweist sich als nicht mehr aufnahmefähig. Es ist mit Frischkäse und Honig übersättigt. Also weiche ich auf das benachbarte Büschel aus, ebenfalls bio, das hat noch Kapazität. (Es gibt eine Gästeküche, aber mir gefällt es auf der Wiese zwischen Pflaumen- und Apfelbaum besser.)

Es wird Zeit, dass ich vom Lebensgut abreise. Nicht, dass es mir nicht gefiele. Jedoch werde ich zunehmend schlaff! Dazu trägt gewiss die Hitze bei, die ich als alleinigen Grund jedoch nicht akzeptiere. Die Lethargie erfasst auch mein Denken: Ich habe kaum noch Lust zu lesen. Alarm! Ich muss mich also zu einer Tour durch die umliegenden Dörfer auf das Fahrrad schwingen und mit meinem Körper auch den Geist wieder in Bewegung versetzen. Da ich Bücher dabei habe, will ich sie nach dem Urlaub gelesen haben. (Bei allem, was ich mitführe, hatte ich beim Packen peinlichst auf Größe und Gewicht geachtet, nicht bei den Büchern.)

Ich liebe es, auf weitem Feld einen einzelnen uralten, knorrigen Baum stehen zu sehen. Meine Liebe wird erwidert: Er winkt mir zu.

„Leben einzeln und frei
wie ein Baum und dabei
brüderlich wie ein Wald
diese Sehnsucht ist alt.“

(Hannes Wader frei nach Nazim Hikmet)

Zurück auf dem Lebensgut lasse ich mich ins Gras fallen und lese. Okay. Meine Rechnung, ich muss die körperliche Trägheit überwinden, damit auch der Geist wieder Lust auf Bewegung hat, geht auf. Leider beginnt einer der Lebensgütler, auf dem gesamten Gut den Rasen zu mähen, und fabriziert einen Höllenlärm. Das Gut ist groß, er braucht lange. Als er an meinem Zelt ankommt, umkreist er es sorgfältigst und beseitigt penibel jeden darunter hervor sprießenden Halm. Ich gehe zu ihm hin, bedeute ihm, indem ich zuerst auf meine Ohren und dann auf die Maschine unter ihm zeige, dass er die ausschalten möge, und frage, nachdem er meiner Bitte entsprochen hat, ob ich der Einfachheit halber das Zelt beiseite rücken soll. Nein, antwortet er, die knapp vier Quadratmeter könnten auch bleiben, wie sie seien, er mache nur drum herum alles hübsch, damit ich mich wohl fühle. Aha, denke ich leicht verbittert, meinem Wohlbefinden also dient der Krach! Aber der Rasenmäher – der Mann auf der Maschine, nicht die Maschine selbst – ist nett und ich bin relativ schnell wieder versöhnt mit der Welt, zumindest mit hiesigem Ausschnitt davon. Frisch gemähtes Gras riecht sehr gut.

Ha, auf frischer Tat ertappt! Als ich vom Duschen komme, sehe ich sie: zwei Igel. Sie rascheln um mein Zelt herum und erzeugen genau das Geräusch, das ich gestern Abend nicht enträtseln konnte. Aber eine gute Tat ist es, auf der ich euch ertappt habe, ihr lieben Igel! Fresst nur, fresst! Fresst euch satt an Schnecken! Derer gibt es hier tatsächlich mehr, als ich angenehm finde, und es ist doch wahrhaftig besser, hier leben geliebte Igel als gehasste Schnecken.

Mein philosophisches Gespräch über Freundschaft mit einem jungen Lebensgütler (4 Jahre alt?) verläuft so:
Er ruft wiederholt (wirklich ausdauernd) und sehr laut über den Hof nach Kea. Kea – ich kenne sie nicht – scheint verschwunden und ich habe den Eindruck, dass sein Rufen, um nicht zu sagen Brüllen, nicht zum Erfolg führt.
Ich: Wer ist eigentlich Kea?
Er (sein Schreien – welch Segen! – beendend): ….........
Ich: Ist das deine Schwester?
Er: Nein.
Ich: Ist das deine Freundin?
Er: Nein, meine Freunde sind im Kindergarten.
Ich: Ach so.

--> Tag 13

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