Auf nichts Unumstößliches stoßen Leserinnen und Leser in diesem Blog. Alles ist Überlegung, nichts Überlegenheit. Standpunkte sind springende Punkte und Punktlandungen selten.
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Donnerstag, 27. März 2014

Impressionen aus der Województwo Lubuskie - Tour am Dienstag von Bronków nach Bronków über Zielona Góra

Es regnet. Eigentlich pladdert es, aber ich nenne das vom Himmel fallende Wasser euphemistisch Regen. Kurzzeitig erwäge ich, in der Unterkunft zu bleiben, fahre dann aber doch los. Durch die ersten Dörfer muss ich mich ziemlich quälen, gelange allerdings später in einen derart dichten Wald, dass die Blätter über mir ein Dach bilden, durch das es zwar tropft, aber nicht schüttet. Ich komme vorwärts, wenngleich nur mühsam, denn der Boden ist trotz Überdachung schlammig. Außerdem birgt der Name der Stadt, zu der ich unterwegs bin, nicht grundlos das Wort "Góra = Berg" in sich, es geht bergauf nach ehemals Grünberg. Auf etwa halber Strecke liegt Trzebule, das ich in ziemlich erschöpftem Zustand erreiche, was jedoch nicht schlimm ist, da es aufhört zu regnen und ich eine Rast einlegen kann.


Im Vergleich zu den drei zurückliegenden Tagen hält die Regenpause erstaunlich lange an: fast eine ganze Stunde. Ich setze die Fahrt fort, noch bevor es erneut regnet. Unter mir Pfützen über Pfützen, aber wenigstens von oben kein Wasser und somit nach vorne gute Sicht: keine nassen und beschlagenen Brillengläser. In Drzonów traue ich dennoch meinen Augen nicht. Kaum fahre ich aus dem Wald und auf das Dorf zu, finde ich mich unvorbereitet einem Waffenarsenal gegenüber wieder! Das kann nicht sein! Doch, es ist. Drzonów beherbergt ein gigantisches Freiluft-Kriegsmuseum. Zwar weiß ich theoretisch, dass es auf der Erde nicht nur Kriege, sondern auch Kriegsmuseen gibt, aber praktisch bin ich im Moment nicht darauf vorbereitet.


Ich brauche noch einmal Pause auf diesen Schreck. Dann mahnt Regen zur Weiterfahrt und ich kämpfe mich bergauf nach Zielona Góra. Dort gilt mein Interesse zunächst den Ampeln: An denen für Auto- bzw. Fahrradfahrer hängen Tafeln, die rückwärts zählend die Sekunden bis zum nächsten Farbwechsel anzeigen. Die Fußgängerampeln beginnen zu blinken, kurz bevor sie zum anderen Farbsignal wechseln. Trotz dieser lustigen Blinkerei lasse ich die beampelten Neubaugebiete recht schnell hinter mir. Nahe der Altstadt verspüre ich das Bedürfnis nach Wärme, setze mich in ein Café, das gemütlich wirkt, und bestelle eine gorąca czekolada. Heiße Schokolade wärmt mich, die Heizung mich und meine Jacke, während draußen vorm Fenster der Regen in Hagel übergeht. Ein Blick zum Himmel verschafft mir die Gewissheit, das Wetter wird heute kein anderes mehr, und da in meiner Landkarte eine Bahnstrecke von Zielona Góra nach Krosno eingezeichnet ist, beschließe ich, zurück über Krosno und bis dort mit dem Zug zu fahren. Ich schiebe also mein Fahrrad durch die Fußgängerzone der Altstadt, versuche, mir deren Atmosphäre bei sonnigem Wetter vorzustellen, folge der Ausschilderung zum Bahnhof und erfahre dort, dass die Bahnverbindung nach Gubin über Krosno in Planung ist. Nach Krosno fahren Busse, die jedoch keine Fahrräder transportieren. Okay. Wenigstens hat sich der Hagel inzwischen wieder in Regen verwandelt! Es beginnt, dunkel zu werden. 
Ich steige auf mein Fahrrad und treffe die Entscheidung, auf der Straße zu fahren. Die Straßen sind beleuchtet und ausgeschildert, das ist von Vorteil. Radwege gibt es außerhalb von Städten nicht und Radfahrer werden auf den Straßen von polnischen Autofahrern nach einem ungeschriebenen Gesetz wie Luft behandelt, das ist von Nachteil. Wann immer es hinter mir hupt, habe ich mich in den Straßengraben zu begeben. Ich weiß nicht, was geschähe, wiche ich nicht aus, will es aber nicht probieren. Ab Dabie sind es keine Fernstraßen mehr, die ich zu fahren habe, und auf den Dorfstraßen bewegen die wenigen Fahrer, die zur abendlichen Fernsehzeit noch unterwegs sind, ihre Fahrzeuge langsam, weil die Qualität der Straßen kein hohes Tempo zulässt. 
Fast beginnt die Angst, von mir abzufallen, als eine dunkle männliche Gestalt auf einem unbeleuchteten Fahrrad aus einem Seitenweg kommt, polnisch auf mich einredet und nicht von meiner Seite weicht. Was will der? Handy? Geld? Sex? Sowohl als auch als auch? Ich erkläre ihm auf englisch und deutsch, dass ich ihn nicht verstehe. Russisch verbiete ich mir in Polen und mehr Sprachen habe ich nicht anzubieten. Er radelt neben mir her und redet und redet und redet, bis er im nächsten Dorf genauso plötzlich in einem Seitenweg verschwindet, wie er im vorigen aus einem aufgetaucht ist. Wollte der lediglich nicht im Dunkeln fahren und hat sich an mich geheftet, weil ich Lampen am Fahrrad habe? Ich weiß es nicht, bin jetzt doppelt nass, einerseits vom Regen, vom Angstschweiß andererseits, will nur noch in die Unterkunft und hinter mir die Tür abschließen! Mein Wille geschehe! Er geschieht.

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